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„Leg doch einfach auf“ – Was Telefonbetrüger so überzeugend macht und die Lösung aus dem Dilemma

Verantwortlich: Anja Leuschner (al)
Stand: 27.07.2023, 11:45 Uhr

„Leg doch einfach auf“ – Was Telefonbetrüger so überzeugend macht und die Lösung aus dem Dilemma

Polizeidirektion Görlitz
14.03.2023

„Warum legen die denn nicht einfach auf?“ – diese Frage hört die Kriminaloberkommissarin Sandra Riedel oft, wenn es um die Opfer von Schockanrufen geht. Warum es für manche Menschen eben nicht einfach oder fast unmöglich, ist das Gespräch zu beenden, was Telefonbetrüger so überzeugend macht und welche Lösung es aus dem Dilemma gibt, erklärt die Kriminalistin der Polizeisprecherin Anja Leuschner im Interview.

Frau Riedel, Sie sind Ermittlerin im Dezernat für Wirtschaft- und Vermögensstraftaten, insbesondere im Bereich der Schockanrufe. Welche Maschen kommen Ihnen gerade am häufigsten unter?

Wir haben im Moment sehr viele Schockanrufe, darunter viele Versuche aber auch vollendete Betrüge. Uns ist auch aufgefallen, dass immer mehr Geschädigte sich bei der Polizei melden, auch wenn kein finanzieller Schaden eingetreten ist. Das ist für uns als Ermittler sehr gut, denn so wird das Dunkelfeld ein Stück weit aufgehellt. Die Angerufenen denken oft „das bringt doch nichts, wenn ich das anzeige“. Aber jede Information ist wichtig für unsere Ermittlungen.

Und wie genau sieht die aktuelle Masche bei den Schockanrufen aus?

Zuerst meldet sich eine weinerliche Stimme. Die gibt sich beispielsweise als Tochter aus und erzählt von einem Unfall. Dann wird das Telefon an einen Polizisten weitergegeben. Der berichtet ebenfalls von dem Unfall und dass dabei jemand tödlich verletzt wurde. Manchmal gehen die Betrüger da weiter ins Detail und sagen es wäre eine schwangere Frau oder ein Kind auf einem Fahrrad gewesen. Die Tochter muss dafür ins Gefängnis. Nur eine Kaution kann sie dort wieder rausholen. Hier fragen die Täter dann in vielen Fällen, wie viel Geld die Angerufenen denn zahlen könnten.

Dann kommt oftmals noch ein Staatsanwalt ins Spiel. Mit ihm wird die angegebene Summe dann abgesprochen. Schließlich wird ein Treffpunkt für die Übergabe ausgemacht oder ein Abholer kommt zu den Betrogenen nach Hause.

Die Täter nutzen eigentlich immer dieselben Grundbausteine für ihre Betrüge, könnte man sagen. Dabei saugen sie aber auch alles auf, was ihre Opfer im Gespräch preisgeben und nutzen das, um ihre Geschichte weiterzustricken.

Wie ist das denn gemeint?

Sie müssen sich vorstellen, dass die Betrüger umfangreich geschult sind, in Gesprächsführung und im Ausüben von Druck. Alles was die Angerufenen den Betrügern preisgeben, bauen sie in ihre Story ein. Wir hatten einen Fall, da soll die Schwiegertochter einen Unfall verursacht haben, bei dem eine Mutter von zwei Kindern zu Tode kam. Die Geschädigte erwähnte im Gespräch den Sohn der Schwiegertochter. Den integrierten die Täter dann direkt in die Geschichte, indem sie sagten, der Sohn wäre bereits mit 40.000 Euro auf dem Weg zur Polizei und sie solle den Rest bringen. Es ist als nutzen die Betrüger ein Schachtelsystem. Je nachdem welche Info sie von ihren Opfern erhalten, ziehen sie ein Register und machen sich so Stück für Stück glaubwürdiger. Damit bauen sie zum einen Vertrauen aber auch Druck auf.

Würden Sie also sagen, die Geschädigten zahlen, weil sie dem Unbekannten am Telefon vertrauen?

Nein eher nicht. Die Gründe sind vielmehr Angst, Stress und Druck. Die Betrüger fallen mit einer Information und gleich darauf einer Aufforderung ins Haus. Sie triggern ihre Opfer mit einem Problem und direkt einer Lösung. Wie es weitergeht erfahren sie nur von den Anrufern. Welche Möglichkeiten und Lösungen es gibt, erfahren sie nur von den Anrufern. Die Betrüger geben ihren Opfern das Gefühl, die Kontrolle wiederzubekommen. „Sie haben es in der Hand, ihr Kind zu retten.“ Daher ist es auch so schwer „einfach aufzulegen“.

Welche Strategie machen sich die Täter zu Nutzen?

Ein Betrug besteht immer aus Fakten, die durch Täuschung zum Irrtum führen, woraufhin eine Vermögensverfügung veranlasst wird. Das heißt, das Ganze beginnt mit einer Nötigung: „Tun Sie was ich sage!“. Es folgt das Dulden: Der Angerufene akzeptiert die geschilderte Situation des Angehörigen. Und zum Schluss schließt sich das Unterlassen an: „Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.“. Das ganze folgt einem Schema, welches aufgrund der Verschwiegenheit und des ununterbrochenen, manchmal stundenlagen Telefonats, keine Gegenmaßnahmen zulässt. Wir hatten schon Anrufe die dauerten sechs Stunden. Deswegen funktioniert die Täuschung.

Wieso funktioniert das so gut?

Die Täter bauen ein authentisches Gesamtbild auf. Sie erzeugen eine Illusion. Und jeder Baustein trickst wiederrum das Gehirn der Geschädigten ein kleines bisschen mehr aus. Wir hatten Fälle, da lief im Hintergrund ein Funkgerät. Es war eine Rückkopplung zu hören und das Wort „Roger“. Vermutlich stammte es aus einem Film. Die Übergabeorte sind oftmals vor einem Gerichtsgebäude, um den Eindruck von Seriosität zu erzeugen. Sind die Opfer einmal im Bann der Betrüger, kann kaum etwas sie da wieder rausholen.

Einige Banken haben mittlerweile einen speziellen Briefumschlag. Dieser wird bei größeren Abhebungen verwendet. Darauf stehen Fragen  wie „Haben Sie den Geldbetrag abgehoben, weil Sie telefonisch dazu aufgefordert wurden?“, „Hat sich der Anrufer als Polizist, Staatsanwalt, Richter, Notar, Arzt oder Angehöriger ausgegeben?“ oder „Hat der Anrufer Ihnen verboten, über den Zweck der Abhebung zu sprechen?“. Unten steht dann der Hinweis, die Polizei zu rufen, sollte auch nur eine Frage mit „JA“ beantwortet werden. Wir hatten einen Fall, da kam die Betrogene zur Bank und die Mitarbeiter gaben ihr den Umschlag und deuteten auch noch mehrfach auf die Fragen hin. Aber die Frau hat das gar nicht wahrgenommen. Sie steckte gedanklich zu tief drin und ließ nichts von außen an sich heran.

Gab es schon Bürger, die die Masche durchschaut und die Täter ausgetrickst haben?

Auch darauf sind die Täter vorbereitet. Sie lassen sich die Farbe, Anzahl und Nummern der Geldscheine durchgeben. Oder die Geschädigten müssen ihre Goldmünzen genau beschreiben. So wollen die Täter rausfinden, ob ihre Opfer sie möglicherweise durchschaut haben. Sie sind auch sehr vorsichtig bei der Abholung des Geldes.

Wir hatten auch schon Fälle, in denen die Bürger es geschafft haben, uns parallel zu informieren. Die Angst und der Stress sind jedoch oft zu groß, um das Ganze bis zum Schluss mit uns durchzuspielen. Einige Festnahmen hat es in der Vergangenheit gegeben. Die Geldabholer sind aber eher die kleinen Fische in dem großen Betrügernetz. Die Strippenzieher sitzen in Callcentern, möglicherweise im Ausland.

Wie viel Beute haben die Täter denn zum Beispiel letztes Jahr gemacht?

Im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Görlitz erbeuteten die Betrüger im Jahr 2022 nur mit der „Unfall-Masche“ circa 337.000 Euro. Wir stellen auch fest, dass die Forderungen immer höher werden. Im März gab es wieder eine Welle. Circa 30 Geschädigte meldeten sich bei der Polizei. An diesem einem Tag forderten die Betrüger insgesamt 700.000 Euro.

Gibt bestimmte „Stoßzeiten“, in denen die Betrüger besonders oft aktiv sind?

Die Schockanrufe kommen meistens in Schüben. Als ob die Täter sich an einem Tag beispielsweise das Telefonbuch von Bautzen vornehmen und dann dort alle älter klingende Nachnamen mit „S“ durchklingeln. Wir haben auch bemerkt, dass die Täter kurz vor Feiertagen aktiver sind. Möglicherweise sind die Bürger in diesen Tagen empfänglicher für derartige Maschen und zahlen bereitwilliger für ihre Angehörigen.

Die Täter versuchen es ja nicht nur per Telefon. Was ist das Besondere bei den Betrügen per Messenger?

Betrüge über Messenger-Dienste sind ähnlich aufgebaut, auch hier agieren die Täter anonym. Die Nachricht: „Hallo Mama (oder Papa) mein Telefon ist kaputt gegangen. Hier ist meine neue Nummer, speichere sie unter meinem Namen ab, lösche die alte Rufnummer und kontaktiere mich über WhatsApp.“ zielt darauf ab, dass eine Überweisung getätigt wird. Die Kontonummern sind häufig ausländischen Banken zuzuordnen. Die Täter nutzen eine vertrauliche Anrede, manchmal versehen mit Smileys oder Herzchen. Das führt dazu, dass die Geschädigten unkritisch bleiben. Danach kommen die Betrüger auch rasch zur Geldforderung. Die Geschädigte sollen diese über eine Echtzeitüberweisung sofort ausführen. „Ich muss diese Rechnung heute noch bezahlen, aber ich komm im Moment nicht an meine Daten heran. Kannst Du das für mich übernehmen? Morgen erhältst Du das Geld zurück.“ Besonders dreist sind die Betrüger, wenn ein Opfer doch misstrauisch ist und nach einem Telefonat fragt. Sie antworten, dass das nicht ginge, weil das Handy ja erst noch eingerichtet werden müsse und dies umständlich und zeitaufwendig sei.

Was ist Ihnen unter all den Fällen besonders in Erinnerung geblieben?

Ganz allgemein bleiben mir eigentlich immer die Opfer mit ihrer Scham und ihrem Bedauern im Gedächtnis. So etwas nimmt die Geschädigten natürlich sehr mit. Nicht nur der finanzielle Verlust sondern der Ärger auf einen Betrug hereingefallen zu sein und der Schock über die Abgebrühtheit der Täter. „Wie kann man so mit den Gefühlen von Menschen spielen?“, solche Fragen stellen mir die Betrogenen oft. Ein Senior war bereits auf dem Weg zur Bank, um Geld abzuheben und war so aufgewühlt, dass er kollabierte. Ich fühle da natürlich mit.

Mir ist auch in Erinnerung geblieben, dass die Masche auch einmal funktioniert hat, obwohl die Geschädigte nicht einmal eigene Kinder hatte. Über drei Ecken überzeugten die Täter sie dann, eine Bekannte aus dem Gefängnis frei zu kaufen.

Und ich hatte ja bereits erwähnt, dass die Gespräche nach Möglichkeit nicht unterbrochen werden. Nach einigen Stunden müssen Menschen aber auch manchmal auf Toilette. Selbst da wollten die Betrüger in einem Fall „dabei sein“. Sie sagten dann: „Ich sehe Sie ja nicht.“

Und wie kommt man nun aus dem Dilemma wieder raus?

Die Angerufenen sollten ein gesundes Misstrauen am Telefon zeigen, denn sie sind die erfahrenste Altersgruppe. Man muss sich überwinden aufzulegen! Man muss die Ungewissheit über das Schicksal des Kindes oder Enkels aushalten. Das fällt natürlich schwer, das ist klar. Wer kann schon sein Kind im Stich lassen. Aber diese Unterbrechung des Anrufs ist die Chance, Kontakt zu seinen Angehörigen aufzunehmen und sich gar nicht erst auf die Betrugsmasche einzulassen. Sollte sich die Tochter tatsächlich im Gefängnis befinden, ist diese Verzögerung dann auch nicht mehr wichtig.

Die Menschen müssen eine gesunde Skepsis entwickeln, selbst wenn sich eine vermeintliche Autoritätsperson meldet. Das geht natürlich vor allem über Prävention. Die Maschen müssen auch noch dem letzten bekannt sein. Wir müssen die Menschen auf allen Kanälen darüber informieren, wie die Täter vorgehen, was sie sagen, welche Tricks sie anwenden.

Ich habe eben die Prävention angesprochen. Um die Menschen zu schützen, arbeitet die Polizei sehr eng mit den Banken zusammen. Das zeigt ein Beispiel mit der Ostsächsischen Sparkasse. Dort erhalten die Kunden einen Umschlag, wenn sie eine hohe Summe abheben. Auf diesem sind dann folgende Hinweise aufgedruckt:

Schützen Sie sich und Ihr abgehobenes Geld!

  • Sie haben einen ungewöhnlich hohen Geldbetrag abgehoben, weil Sie angerufen worden sind?
  • Sollen Sie das Geld heute noch übergeben?
  • Sie sollen nicht über den Zweck der Abhebung sprechen?
  • Hat der Anrufer sich als Familianangehöriger, Polizist, Arzt, Notar, Richter etc. ausgegeben, den Sie ggf. persönlich nie gesehen haben?
  • Die Summe soll an eine unbekannte Person übergeben werden?
  • Sollen Sie etwas überweisen oder eine Geldwertkarte kaufen?

Wenn Sie zwei oder mehr Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, dann wählen Sie die 110 oder sprechen uns an.

Mit solchen Kooperationen versuchen wir die Senioren zu sensibilisieren, bevor es zu spät ist.

Unser Appell lautet: Legen Sie im Zweifel auf! Kontaktieren Sie unter den altbekannten Nummern ihre Angehörigen, Bekannten, Freunde oder Nachbarn. Fragen Sie auch gerne bei dem Taxifahrer, den Bankmitarbeitern oder der Polizei nach. Aber lassen Sie sich auf keinen Fall auf eine Geldübergabe ein! Notieren Sie sich, wenn möglich, die Rufnummer und informieren Sie die Polizei.

Vielen Dank für das Gespräch. Das Thema ist nicht nur ein Schwerpunkt in der Kriminalpolizeiinspektion, welche eine spezielle Ermittlungsgruppe (EG) gegründet hatte. Die EG-Schock bearbeitete die Vielzahl an Telefonbetrügen gebündelt und führte umfangreiche Ermittlungen. Auch der Fachdienst Prävention hat sich das Thema auf die Fahne geschrieben. Neben zahlreichen Seniorenschulungen, entwickeln die Berater immer wieder neue Info-Flyer, Plakate und Aktionen, um die Bürger vor den Telefonbetrügern zu schützen.

Anlage: Foto des Interviews (al)


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